„Vierter König“
Liebe Gemeindeglieder, liebe Leser*innen,
Zu Beginn des nun neu begonnenen Jahres sind wir auf folgende russische Legende gestoßen – sie trägt den Titel: „Vom vierten König“.
„Außer Caspar, Melchior und Balthasar war auch ein vierter König aus dem Morgenland aufgebrochen, um dem Stern zu folgen, der ihn zu dem göttlichen Kind führen sollte. Drei wertvolle Edelsteine hatte er im Gepäck und mit den drei anderen Königen einen Treffpunkt vereinbart. Aber sein Reittier lahmte. Er kam nur langsam voran, und als er bei der hohen Palme eintraf, war er dort allein. Nur eine kurze Botschaft, in den Stamm des Baumes geritzt, sagte ihm, dass die anderen ihn in Bethlehem erwarten würden.
Er zog also weiter und entdeckte am Wegrand ein Kind, bitterlich weinend und blutigen Knien. Voll Mitleid nahm er das Kind auf sein Pferd und ritt in das Dorf zurück, durch das er zuletzt gekommen war. Er fand eine Frau, die das Kind in Pflege nahm. ER legte einen Edelstein dazu, damit sein Leben gesichert sei. Dann ritt er weiter, seinen Freunden nach. Er fragte die Menschen nach dem Weg, denn den Stern hatte er längst verloren…
Eines Tages erblickte er den Stern wieder, eilte ihm nach und wurde von ihm durch eine Stadt geführt. Ein Leichenzug begegnete ihm. Hinter dem Sarg eine verzweifelte Frau mit ihren Kindern. Der vierte König sah sofort, dass nicht allein die Trauer um den Toten diesen Schmerz hervorrief. Der Mann und Vater wurde zu Grabe getragen. Die Familie war in Schulden geraten, und vom Grabe weg sollten die Frau und die Kinder als Sklaven verkauft werden. Er nahm nun auch den zweiten Edelstein, der eigentlich dem neugeborenen König zugedacht war. „Bezahlt, was ihr schuldig seid, kauft euch Haus und Hof und Land, damit ihr eine Heimat habt!“
Er wendete sein Pferd, wollte dem Stern entgegen reiten – doch dieser war zwischenzeitlich erloschen. Sehnsucht nach dem göttlichen Kind und tiefe Traurigkeit überfielen ihn. Würde er sein Ziel nie erreichen?
Eines Tages leuchtete sein Stern wieder auf und führte ihn durch ein fremdes Land, in dem Krieg wütete. In einem Dorf hatten Soldaten Bauern gefangen. Die Frauen schrien und Kinder wimmerten. Grauen packte den König, Zweifel stiegen in ihm auf. Er besaß nur noch einen Edelstein – sollte er denn mit leeren Händen vor dem König der Menschen erscheinen? Doch dies Elend war so groß, dass er nicht lange zögerte, mit zitternden Händen seinen letzten Edelstein hervorholte und damit das Dorf vor der Verwüstung loskaufte.Müde und traurig ritt er weiter. Sein Stern leuchtete nicht mehr. Jahrelang wanderte er. Zuletzt zu Fuß, da er auch sein Pferd verschenkt hatte. Schließlich bettelte er, half hier einem Schwachen, pflegte dort Kranke; keine Not blieb ihm fremd, selbst die Sklavenarbeit nicht. Jahre vergingen. Er vergaß, sie zu zählen. Grau war sein Haar, müde sein zerschundener Körper geworden. Doch irgendwann leuchtete sein Stern wieder auf. Und was er nie zu hoffen gewagt hatte, geschah. Man schenkte ihm die Freiheit wieder; an der Küste eines fremden Landes wurde er ausgesetzt. In dieser Nacht träumte er von seinem Stern, von seiner Jugend, als er einst aufgebrochen war, um den König aller Menschen zu finden. Eine Stimme rief ihn: „Eile, eile!“
Sofort brach er auf, er kam an die Tore einer großen Stadt. Aufgeregte Gruppen von Menschen zogen ihn mit, hinaus vor die Mauern. Angst schnürte ihm die Brust zusammen. Einen Hügel schritt er hinauf. Oben ragten drei Kreuze. Der Stern blieb über dem Kreuz in der Mitte stehen, leuchtete noch einmal kurz auf und war dann erloschen. Ein Blitz warf den müden Greis zu Boden. „So muss ich also sterben“, flüsterte er in Todesangst, „sterben, ohne dich gesehen zu haben? Bin also umsonst durch die Städte und Dörfer gewandert wie ein Pilger, um dich zu finden, Herr?“ Seine Augen schlossen sich. Die Sinne schwanden. Da aber traf ihn der Blick des Menschen am Kreuz, ein unsagbarer Blick der Liebe und Güte. Vom Kreuz herab sprach die Stimme: „Du hast mich getröstet, als ich jammerte, und gerettet, als ich in Lebensgefahr war; du hast mich gekleidet, als ich nackt war!“ Ein Schrei durchbebte die Luft – der Mann am Kreuz neigte das Haupt und starb. Der vierte König erkannte mit einem Mal: Dieser Mensch ist der König der Welt. Ihn habe ich gesucht in all den Jahren.
Er hatte ihn also nicht vergebens gesucht in all den Jahren, sondern ihn am Ende doch noch gefunden.
Die eine oder andere Erfahrung jenes einst leicht verspätet angekommenen, vierten Königs, die wünschen wir auch Ihnen und uns für diese ersten Tage und Wochen des neue begonnenen Jahres 2021 – hoffen dabei stets auf Gottes spürbaren Segen und bitten ihn auch weiterhin um möglichst stabile Gesundheit,
Ihre Pfarrer Wolfgang Popp und Gerd Schamberger