Hut ab!

Liebe Gemeindeglieder, liebe Leser*innen,

Fasching, Karneval, Fastnacht – seit gestern nun wieder Vergangenheit. Was heuer anders war: Kaum irgendwo Narren auf der Straße, keine so rechten Prunksitzungen und selbst die Faschingsferien in diesem Jahr Fehlanzeige. Am Tag nach Faschingsende heißt es dann alle Jahre wieder:

Am Aschermittwoch ist alles vorbei,
die Schwüre von Treue, sie brechen entzwei.
Von all´ deinen Küssen darf ich nichts mehr wissen.
Wie schön es auch sei, dann ist alles vorbei.

Der Unterhaltungskünstler Jupp Schmitz hat diese Zeilen einst bekannt gemacht. Mit dem Aschermittwoch verbinde ich bis heute die Erinnerung an eine Besonderheit aus meiner Kindheit. Die Jecken aus dem örtlichen Faschingsverein in meinem Heimatort Neustadt a. d. Aisch trafen sich jedes Jahr regelmäßig am Vormittag des Aschermittwoch – nicht selten sichtlich aspiringedopt – um im Brunnen auf dem Marktplatz symbolisch ihre leeren Geldbörsen auszuwaschen und diese dort dann öffentlich zum Trocknen aufzuhängen. Eine interessante Tradition, die sich bis heute gehalten hat. Möglicherweise hängen die leeren Geldbeutel diesmal mit 1,5 Meter Abstand zueinander auf der Leine, aber sie hängen. Auch in Zeiten von Corona.

Diese besondere Tradition der leeren Geldbörsen hat mich schließlich an folgende kleine Begebenheit erinnert:

Auf dem Gehsteig einer belebten Einkaufsstraße sitzt ein blinder Mann. Wie jeden Morgen sitzt er da. Vor ihm sein umgedrehter Hut, daneben ein Schild, jeden Tag steht dasselbe drauf: „Ich bin blind und brauche Hilfe!“ Ich selbst sitze auf einer Bank und beobachte das Geschehen. In der einen Hand eine knusprige Butterbreze, in der anderen einen heißen Kaffee.
Ständig gehen Menschen an dem blinden Bettler vorüber, doch einige wenige nur lassen im Vorbeieilen eine Münze in den Hut fallen, manchmal fallen sogar zwei Geldstücke in den Strohhut. Die meisten Passanten allerdings eilen vorüber, ohne den Bettler auch nur eines Blickes zu würdigen. Er sitzt einfach nur da, wie jeden Tag, sitzt am Rande der Einkaufsstraße und dankt nickend für jedes Geldstück, das in seinen Hut fällt. Mein Kaffee ist alle. Ich muss los. Als ich eben aufstehen will, sehe ich, dass eine junge Frau im Trenchcoat vor dem Blinden stehen bleibt. Kann nur ihren Rücken sehen. Sie beugt sich zu ihm hinunter, nimmt sein Schild in die Hand, sucht in der Tasche nach einem Stift und beschreibt die Rückseite der zerknickten Pappe. Soweit ich das aus sicherer Entfernung erkennen kann, wechseln sie dabei kein Wort. Am Ende stellt sie das Schild wieder an seinen Platz, steht auf und geht ihres Weges.
Neugierig und verwundert bleibe ich noch einen Augenblick sitzen. Etwas hat sich verändert. Immer noch eilen Passanten auf dem Platz von links nach rechts und von rechts nach links, aber es klimpert jetzt sehr viel öfter. Ein Geldstück nach dem anderen findet seinen Platz im Hut des blinden Bettlers. Sein Kopf nickt und nickt. Gleichzeitig beginnt er ungläubig mit dem Kopf zu schütteln. Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben, er lächelt, nickt, es klimpert, er nickt, es klimpert und klimpert.

Nun muss ich aber wirklich los. Ich stehe auf und gehe auf den Bettler zu. Als ich vor ihm stehe, sehe ich die zerknickte Pappe. Mit schwarzem Stift und geschwungener Schrift hat sie dasselbe geschrieben, was vorher draufstand, nur hat sie andere Worte benutzt: „Es ist ein wunderbarer Tag“, steht dort, „Es ist ein wunderbarer Tag – nur kann ich ihn nicht sehen!“
Ein wohltuender Schauer läuft mir über den Rücken als auch ich ein Nicken und ein Lächeln für mein Klimpern ernte. Was für ein großes Herz sich in dem Trenchcoat verbarg, denke ich noch und mache mich dann zufrieden auf den Weg in den Tag.

Trotz Zeiten wie diesen wollen auch wir unserem Gott von Herzen dankbar sein für das wunderbare Geschenk des Lebens und dabei zugleich uns die Achtsamkeit bewahren gegenüber all jenen, denen gerade so manch schwere Last auf den müden Schultern liegt …

Ihre Pfarrer Wolfgang Popp und Gerd Schamberger