Christi Himmelfahrt
Liebe Leser*innen!

Ich fahre mit dem Zug nach Nürnberg. Vom Hauptbahnhof dort will ich weiter in die U-Bahn. Dort, an der Endstation auf meinem Weg zur Regionalbischöfin angekommen, werde ich angesprochen: „Was steht bitte auf dem Schild geschrieben?“
Ich muss mich erst vergewissern, schaue mich um, ob ich auch gemeint bin. Ein junger Ausländer, wohl aus einem afrikanischen Land, sieht mich freundlich an und zeigt auf ein Schild mitten auf dem Bahnsteig. Sein Deutsch ist gut verständlich. Mit der Hand zeigt er auf eine Tafel; sie ist mir bisher nie aufgefallen. Obwohl, eigentlich fällt man, salopp gesprochen, direkt drüber. Auf ihr steht: „Beim Aussteigen bitten wir um Beachtung des Höhenunterschieds zwischen Zugtür und Bahnsteigkante.“
Ich lese die Zeilen noch einmal. Ein Satz, zwölf Wörter, fünf Hauptwörter; drei von diesen wiederum ihrerseits aus mehreren Hauptwörtern zusammengesetzt. Klar, ich weiß, was gemeint ist. Obwohl, zwei Mal lesen schadet nicht, um es auch wirklich zu verstehen. Ich denke mir: Klassisches Behördendeutsch.
Also, was sagt die Tafel, muss ich tun? Und wie erkläre ich dem jungen Mann, was er tun müsste. Aber eigentlich ja doch nicht zu tun braucht? Stimmt, wirklich nicht leicht zu verstehen. Und noch mehr, für jemanden, der meine Sprache vielleicht erst mühsam gelernt hat. Etwas mühsam hoffe ich, dass es mir gelingt.
Später im Büro erzähle ich einem Kollegen davon – und dass ich symbolisch ganz schön ins Schwitzen kam, dem jungen Mann alles richtig zu sagen.
Der Kollege lacht und sagt: Ich war nach Ostern in London. Dort ist das ganz einfach. Dort in der U-Bahn braucht man für denselben Sachverhalt nur drei einfache Worte: „Mind the gap.“ Also schlicht: „Denk an die Lücke.“ Jedem ist klar, was gemeint ist, ob Einheimischer oder Tourist. Pass auf. Stolpere nicht! Wie viele Deutschkurse wohl nötig sind, um die Aufforderung aus unserer U-Bahn zu verstehen?
Später, abends, bei der Heimfahrt geht es mir durch den Kopf. Kompliziert reden – das können nicht nur Behörden und Juristen und Verwaltungsfachleute. Auch bei uns Theologen ist das viel zu oft so. Natürlich, das kann einen wichtigen Grund haben. Es ist eben nicht immer leicht zu beschreiben, was den Glauben an Gott und seinen Sohn Jesus Christus ausmacht.
Ein Wort aus dem Hebräerbrief für den längst zurück liegenden Palmsonntag fällt mir wieder ein. Ich habe es mir vor ein paar Wochen aus gegebenen Anlass extra noch einmal notiert: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.‘“ (Hebräer 11,1) – O je. Wer soll das verständlich übersetzen? Glaube und hoffen verstehe ich noch. Und auch Zuversicht. Aber wie passt das jetzt alles zusammen?
Ein bisschen drückt das Wort wohl auch von dem aus, wie es damals den Christen erging. Zu Zeiten des Hebräerbriefs, grob gesagt um 100 nach Jesu Geburt. Die Lage war unübersichtlich in den ganz jungen Gemeinden. Viel Hilfe von oben, von den Leitern der Kirche, gab es noch nicht. Und so lasen sie diese Sätze ihres Apostels, die gut gemeint waren. Aber ob so ein Zuspruch die Unsicherheit in ihnen beendete? Immerhin, da steht das Wort „Zuversicht“.
Mehr Sicherheiten gibt es nicht im Glauben. Heute kann ich mir meiner Glaubenssache gewiss sein; morgen beginne ich zu zweifeln. So ist das leider. Und wenn ich mir meines Glaubens auch morgen noch gewiss bin, kommen mir vielleicht Zweifel von außen. Ist mir meine Welt gerade sicher, ist es die Welt anderer noch lange nicht. Zweifel lauert überall.
Warum muss etwas manchmal so sein, wie es ist? Das ist eine der Grundfragen unseres Glaubens. Und Gott antwortet scheinbar nicht, zumindest nicht dann, wenn ich will. Oft sehe ich die Nähe Gottes gar nicht. Erkenne ich Gottes Güte nicht. Dann gibt es nur eins: Zuversicht. Ich suche mir einen festen Punkt, der mich hält. Und gehe wackelig auf diesen festen Punkt zu. Der heißt: Gott ist bei mir. Er hält mich bei meiner rechten Hand. In dieser Zuversicht, laufe ich, vorsichtig, Schritt für Schritt. Dabei halte ich mich an Gottes Versprechen. So lange, bis die Zuversicht zur Hoffnung wird.
Zurück zu den Gedanken am Bahnsteig, – und dass in unserem Glauben manchmal alles recht kompliziert scheint.
Klar, ich weiß um die Botschaft von Himmelfahrt. Gott ist da. Aber zugleich „habe“ ich davon nichts. Zumindest nicht so, dass ich darüber verfügen könnte. Jesus ist nicht so da, wie die Menschen um mich, hier.
Mind the gap – denk dran, da ist eine Lücke.
Himmelfahrt diese Woche – es bringt diese Erfahrung des Glaubens, der Zuversicht, der Hoffnung auf den Punkt.
Jesus lebt, und doch ist er nicht unter den Lebenden hier auf Erden, eben Himmelfahrt. Diese Lücke dieses „Zwischendrin“ braucht es einfach.
Nicht viele Worte, viele Erklärungen. Einfach nur: Denk an die Lücke. Dann klappt das schon.
Mit einem herzlichen Gruß zu Himmelfahrt,
Ihre Pfarrer Gerd Schamberger und Wolfgang Popp